Auferstehen im Sprechen miteinander – Heilung der Erde
»Es ist auch jetzt wieder so, daß ich anfangen möchte mit der Wunde. Gehen wir davon aus, daß auch ich zusammenbrechen kann, gehen wir auch davon aus, daß ich bereits zusammengebrochen wäre, daß ich in ein Grab hineingehen müsste, so gäbe es dennoch aus diesem Grabe eine Auferstehung. Wenn ich hier zum Thema vorgefunden habe: Sprechen über dieses Land, so denke ich, das erste, was zu dieser Auferstehung führen würde, wäre der Born dessen, was wir die deutsche Sprache nennen. In dieser Auferstehung aus einer Zerstörtheit, die uns alle betrifft und zu der wir uns auch alle nach außen wenden sollten, sowohl mit unseren Fähigkeiten, aber ganz besonders mit unseren Unfähigkeiten, daß wir im Gehen zu diesem Born, im Benutzen der deutschen Sprache, miteinander ins Sprechen kämen und wir erleben würden, daß aus dem Sprechen miteinander sich uns nicht nur die leibliche Gesundheit wieder einstellen würde, sondern daß wir auch ein elementares, tiefes Fühlen erreichen würden, für das, was auf dem Boden geschieht, auf dem wir leben, für das, was auf dem Acker, was auch im Walde, auf der Wiese, was im Gebirge gestorben ist. Wir würden durch unser eigenes Sich-Verlebendigtwerden durch Sprache den Boden mitnehmen, das heißt, wir würden einen Heilungsprozeß an diesem Boden vollziehen können, auf dem wir alle geboren sind. Im Sprechen dieser Sprache und im offenen Zeigen dessen, was wir nicht können, und im Versuch, ein hohes Ziel anzustreben« …
Joseph Beuys, aus: ›Sprechen über Deutschland‹ – Rede vom 20. November 1985 in den Münchner Kammerspielen, Wangen/Allgäu 2002.
Bild: Christus erscheint als Auferstandener der Maria Magdalena, England 1503/04