Zitat des Monats
Zitat des Monats – März 2023
Auferstehen im Sprechen miteinander – Heilung der Erde
»Es ist auch jetzt wieder so, daß ich anfangen möchte mit der Wunde. Gehen wir davon aus, daß auch ich zusammenbrechen kann, gehen wir auch davon aus, daß ich bereits zusammengebrochen wäre, daß ich in ein Grab hineingehen müsste, so gäbe es dennoch aus diesem Grabe eine Auferstehung. Wenn ich hier zum Thema vorgefunden habe: Sprechen über dieses Land, so denke ich, das erste, was zu dieser Auferstehung führen würde, wäre der Born dessen, was wir die deutsche Sprache nennen. In dieser Auferstehung aus einer Zerstörtheit, die uns alle betrifft und zu der wir uns auch alle nach außen wenden sollten, sowohl mit unseren Fähigkeiten, aber ganz besonders mit unseren Unfähigkeiten, daß wir im Gehen zu diesem Born, im Benutzen der deutschen Sprache, miteinander ins Sprechen kämen und wir erleben würden, daß aus dem Sprechen miteinander sich uns nicht nur die leibliche Gesundheit wieder einstellen würde, sondern daß wir auch ein elementares, tiefes Fühlen erreichen würden, für das, was auf dem Boden geschieht, auf dem wir leben, für das, was auf dem Acker, was auch im Walde, auf der Wiese, was im Gebirge gestorben ist. Wir würden durch unser eigenes Sich-Verlebendigtwerden durch Sprache den Boden mitnehmen, das heißt, wir würden einen Heilungsprozeß an diesem Boden vollziehen können, auf dem wir alle geboren sind. Im Sprechen dieser Sprache und im offenen Zeigen dessen, was wir nicht können, und im Versuch, ein hohes Ziel anzustreben« …
Joseph Beuys, aus: ›Sprechen über Deutschland‹ – Rede vom 20. November 1985 in den Münchner Kammerspielen, Wangen/Allgäu 2002.
Bild: Christus erscheint als Auferstandener der Maria Magdalena, England 1503/04
Neuerscheinung – siehe hier.
Ausstellungshinweise
Veranstaltungen
Bücherhinweis
»… als Steiner seine Schwingen zu entfalten begann«
Martina Maria Sam: ›Rudolf Steiner. Die Wiener Jahre 1884-1890‹, Verlag am Goetheanun, Dornach 2021, 536 Seiten, mit vielen Abb., 50 EUR
In Fortsetzung ihrer 2018 erschienenen dokumentarischen Biografie über Rudolf Steiners Kindheit und Jugend hat Martina Maria Sam, Eurythmistin, promovierte Geisteswissenschaftlerin, Vortragende und Publizistin sowie Herausgeberin im Rudolf Steiner Archiv, nun einen Band über Steiners Wiener Jahre nach Abschluss seiner Studienzeit vorgelegt. Dies war eine Zeit der Auseinandersetzung mit den vielfältigen zeitgenössischen Geistesströmungen und des Suchens nach der eigenen Lebensaufgabe, wobei die Beschäftigung mit Goethe sich wie ein roter Faden hindurch zieht – von der Herausgabe dessen naturwissenschaftlicher Schriften über die Ausarbeitung einer eigenen »Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung« bis hin zur Entdeckung des esoterischen Goethes in dessen Märchen Ende der 1880er Jahre.
Martina Maria Sam geht all diese Begegnungen und Themen ausführlich nach, sie so weitgehend wie möglich durch Briefe und Dokumente, Rezensionen, Erinnerungen der Beteiligten und biografische Angaben zu den einzelnen Persönlichkeiten dokumentierend.
Die ganze Besprechung finden Sie hier, die Besprechung des ersten Bandes hier.
Das Jahr 1977 und die Gegenwart
Philipp Sarasin: 1977. Eine kurze Geschichte der Gegenwart, Suhrkamp Verlag, Berlin 2021, 502 Seiten, 32 EUR
1977? War da was besonderes? Vielleicht irgend etwas mit der RAF? – Viel mehr ist mir auf Anhieb gar nicht eingefallen. Ja doch, natürlich: die Charta 77 (wie schon der Name sagt). Und weiter ? – Es ist schon erstaunlich, was Philipp Sarasin alles in dieses Jahr verorten kann. Beim Lesen erinnerte ich mich dann bei einigem wieder: Ja genau, stimmt! Doch vieles war mir gar nicht (mehr) bewusst.
»Nur dass die allgemeine ›Stimmung‹ gedrückt war, passte ganz gut zu meiner jugendlichen Orientierungslosigkeit« (S. 7). So beschreibt der Autor seinen eigenen Bewusstseinszustand als Einundzwanzigjähriger im Jahr 1977. Dies trifft vermutlich für viele Menschen seiner und damit auch meiner Generation zu. Wohlbehütet aufgewachsen im Zeitalter des deutschen Wirtschaftswunders, drang die eigentliche Dramatik dieses Jahres damals nur sehr fragmentarisch in mein Bewusstsein. Erst jetzt, wo ich Sarasins Buch lese, wird mir deutlich, wie entscheidend dieses Jahr und das 1970er-Jahrzehnt für die gegenwärtige Weltsituation ist. Insofern lautet der Untertitel zurecht ›Eine kurze Geschichte der Gegenwart‹.
Die ganze Besprechung finden Sie hier.