bis 5. Juni, www.schirn.de
»Die Kunst des Malens ist eine Kunst des Denkens« – René Magritte
Die Bilder von René Magritte (1898-1967) sind kühl und wirken auf den ersten Blick höchst realistisch. Obwohl sie den Regeln der Perspektive zu folgen scheinen, lassen sie kein Erlebnis von Tiefe aufkommen; das verhindert schon die auf pure Oberflächengestaltung angelegte Malweise. So geht es auch nicht um Innerlichkeit oder Stimmungen, in die ich mich hineinleben kann. Was bleibt, sind Irritation, die nur denkend aufzulösen sind, und allein darin liegt die Transzendenz dieser Bilder: Ich lerne an ihnen etwas über mein Sehen und Vorstellen. Was ich auf dem Bild sehe, bleibt jedoch irritierend, und genau das macht Magrittes Kunst aus.
Da steht mit dem Rücken zum Betrachter ein schwarz gekleideter Mann mit Melone auf dem Kopf und schaut in die Wolken. Von rechts ragt ein rötlicher Vorhang ins Bild, und vor diesem sehe ich noch einmal die Silhouette dieses Manns. Doch sie ist ausgefüllt von Strand, Meer und Wolken – also von der Landschaft, die ich auch hinter dem Vorhang vermute. Doch das Arrangement ist eindeutig: In den Vorhang ist kein Loch geschnitten mit den Umrissen der Gestalt, sondern diese steht, von mir aus gesehen, vor dem Vorhang. – Wird der Mensch in diesem rätselhaften Doppelgänger zu dem, was er sieht? Oder ist das, was er zu sehen meint, nur seine Vorstellung, und er sieht nichts außerhalb seiner selbst? Und was ist mit mir, der ich dieses Bild anschaue? Sehe ich tatsächlich ein Bild oder habe ich nur die Vorstellung von einem Bild?
Ein anderes Bild zeigt ein Pfeife. Unter dieser steht – im Bild: »This ist not a pipe«. Natürlich, das Bild einer Pfeife ist keine Pfeife, die ich rauchen kann. Entsprechend erklärt Magritte: »Das Bild ist nicht mit etwas Greifbarem zu verwechseln: Das Bild einer Pfeife ist keine Pfeife«. Doch heißt es weiter: »Auch wenn sie nur der Niederschlag von ein bisschen Blei oder Kreide auf einem Blatt Papier oder einer Tafel ist, so ›verweist‹ sie doch nicht wie ein Pfeil oder ein Zeigefinger auf eine Pfeife, die irgendwo liegt; sie ist eine Pfeife.« – Was denn nun?
Herausschauend aus einer Höhle in die umgebende Bergwelt erblicke ich mitten im dunkel umrahmten Eingang eine Staffelei. Und ich erkennen auch die Umrisse eines Bildes auf der Staffelei. Doch was ich auf diesem Bild sehe, fügt sich nahtlos in die Umgebung ein – so, als ob dort lediglich eine Glasscheibe stünde, durch die ich hindurchschaue. Doch nein, dann müsste ich ja auch die Halterung hinter dem Bilde sehen. Und so komme ich ins Spekulieren: Zeigt das Bild im Bild wirklich das, was ich hinter ihm vermute? Auch hier werde ich wieder auf mich zurückgeworfen. – Am linken Rand, noch innerhalb der Höhle, brennt ein kleines Feuer …
Ein solches brennt auch am Strand rechts von der Staffelei mit dem großen Bilderrahmen. Wiederum meine ich, durch diesen Rahmen hindurchzuschauen, hier aufs Meer – bis ich innerhalb des Rahmens den gelblichen Schein des Feuers sich spiegeln sehe. Ist dieser Schein nun gemalt oder ist das Bild bereits verglast?
Auf einem in der Frankfurter Version dieser aus dem Pariser Centre Pompidou übernommenen Ausstellung leider nicht zu sehendem Bild bringt der Maler malend sein Modell hervor – nicht etwa auf einer vor ihm stehenden Leinwand, sondern – scheinbar – ganz real, jedenfalls ebenso real, wie der Maler sich selbst gemalt hat.
In »Variante der Traurigkeit« schaut ein Huhn, das hinter sich gerade ein Ei gelegt hat, auf ein Ei, das vor ihm in einem Eierbecher steht … In einem anderen Bild – »Hellsehen« (nicht in Frankfurt) – schaut der Maler mit prüfendem Blick auf das ihm als Modell dienende Ei, während auf der Leinwand gerade ein veritabler Vogel entsteht. Im ersten Fall ruft die Zukunftsperspektive Traurigkeit hervor. Und im zweiten Fall? Auf der Leinwand entsteht etwas, was aus dem als Modell dienenden Ei niemals mehr werden wird …
Und so könnte man immer weiter fortfahren, dabei um sich selbst kreisend.
Auf vielen seiner Bilder bezieht Magritte die Schrift mit ein: »In einem Gemälde sind Wörter von derselben Substanz wie Bilder« – wobei, so der Maler, manchmal der Name eines Gegenstandes ein Bild vertritt, manchmal das Wort aber auch nur dazu dient, sich selbst zu bezeichnen. Und :»Es gibt Gegenstände, die ohne Namen auskommen.« Oder: »Ein Gegenstand hängt nicht so sehr an seinem Namen, dass man für ihn nicht einen anderen finden könnte, der besser zu ihm passte.« Aber es gilt auch: »Eine beliebige Form kann ein Bild eines Gegenstandes ersetzen.« Man sieht eben »in einem Gemälde Bilder und Wörter anders«. – Diese und weitere (illustrierte) Thesen Magrittes, 1929 in der Zeitschrift ›Révolution Surréaliste‹ erschienen, begrüßen den Besucher an der Wand des Treppenhauses, das zur Ausstellung führt.
So ermöglicht diese Ausstellung Seh- und Denkerfahrungen besonderer Art, die mich nicht unberührt in meinem Selbst- und Weltverständnis lassen. Ich muss mich vor den Bildern immer wieder meiner selbst vergewissern, um nicht das Empfinden für Wirklichkeit zu verlieren. Dies geschieht zunächst durch Analyse dessen, was wirklich auf dem Bild zu sehen ist. Doch was wirklich ist, wird zugleich radikal in Frage gestellt und ich finde mich wie in einen anhaltenden Ausnahmezustand versetzt: Die gewohnte Wirklichkeit wird zu einem Abgrund. Wenn ich nicht in mich selbst schaue, auf mein eigenes Denken, bleibt mir die Welt verschlossen.
Zuletzt, wieder am Ausgang angekommen, stoße ich erneut auf das Bild, dass diese sehenswerte Ausstellung eröffnet. Es zeigt ein überdimensioniertes, in Messing gefassten Schlüsselloches. Doch kann man durch dieses Loch nicht hindurchschauen; es ist angefüllt mit Schwärze, auf der senkrecht ein Schlüssel steht, mit dem man schon von seiner Größe her niemals das Schloss öffnen könnte: »Das Lächeln des Teufels«, so der Titel dieses Bildes aus dem Jahr 1966, gewährt keinen Blick auf irgend ein Dahinter. Die hier sich zeigende Dunkelheit liegt allen Bildern Magrittes zugrunde, auch wenn sie nicht immer explizit zu sehen ist. Kann ich ihrem teuflischen Lächeln ein Schnippchen schlagen?
Vor dieser Herausforderung stehe ich auch, wenn ich das Ausstellungshaus verlasse: Teils durch Rekonstruktionen mittels moderner Technik, teils durch moderne Konstruktionen im alten Stil versucht man gerade in dem Block zwischen Römerberg und Dom, Kunsthalle und Steinernem Haus – über römischen Gemäuern – wieder den Eindruck mittelalterlicher Stadtwirklichkeit zu erzeugen. Zwischen hohen Giebeln und engen Gassen (durch die einst die Kaiser vom Dom zum Römer zogen, um dort im Kaisersaal das Krönungsmal einzunehmen), gab es dort kleine Marktplätze mit den »Scharn« oder »Schirn« – offene Verkaufsstände – der Metzger, die warme Würstchen feilboten. Was damals den Einheimischen und Messegästen diente, soll nun Touristen aus aller Welt anlocken, die sich jetzt in Scharen auf dem Römerberg tummeln, dessen mit originalgetreu rekonstruierten Fachwerkfassaden verkleideten Betongerüstbauten seit den 50er Jahren die der Stadt im Krieg geschlagenen Wunden zudecken. Doch wo bleibt hier das wachmachende Moment?
Magritte: Der Verrat der Bilder, bis 5. Juni 2017 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Die Museumsausgabe des Kataloges kostet 35 EUR.
Diese Besprechung erscheint in redigierter Form in »die Drei« 4/2017