Zitat des Monats

Zitat des Monats – April 2025

»Wichtig ist vor allem das Bewegungselement. Die Form, wie diese Verkör­perung Christi sich in unserer Zeit vollzieht, ist das Bewegungselement schlecht­hin. Der sich Bewegende. Die rein geistige Gestalt – wenn man mal ein ver­gleichsmäßiges Bild nehmen kann – so eine Gestalt ist da, wie ein Mensch ja auch da ist, wenn er tot ist. Da ist ja sein Leib, der im histori­schen Kontext ge­standen hat, nicht mehr da, aber er ist dennoch da. Wieso ist er da? Das wirft na­türlich ein Licht auf das Wesen des Menschen. […]
Die Bewegung kommt zustande durch eine Provokation, durch eine Ein­weihung, durch eine Initiation zum Zweck der Bewegung. Man ruft etwas hervor, das Bewegungsprinzip selbst. Und hier zeigen sich andere Pole, zeigt sich der Pol des Willens, der Energie; dass man weiß, woher die Bewe­gung ihre Nahrung hat; und es zeigt sich sofort der Formpol, d. h. dass es sich darum handelt, für alle Menschen etwas zu gestalten. Und das ist eine andere Gestalt als die alte. Es ist also das Auferstehungsprinzip: die alte Ge­stalt, die stirbt oder erstarrt ist, in eine lebendige, durchpulste, lebensför­dernde, seelenfordernde, geistfördernde Gestalt umzugestalten. Das ist der erweiterte Kunstbegriff.«

 

Joseph Beuys zu Friedhelm Mennekes am 30. März 1984, in: Friedhelm Mennekes: Joseph Beuys: CHRISTUS DENKEN – THINKING CHRIST, Stuttgart 1996, S. 71/73.

 

Neuerscheinung:

Stephan Stockmar
»Ich bin ein Hase« Die Polarität Männlich-Weiblich als »Generator« im ›Lebenslauf / Werlauf‹ von Joseph Beuys

Die Polarität Männlich-Weiblich durchzieht das ganze Leben und Werk von Joseph Beuys – von einem frühen Gedicht, in dem ein Jüngling und eine Jung­frau miteinander sprechen, über Zeichnungen, auf denen er die Geschlechter auf polare Weise charakterisiert, bis hin zu Skulpturen wie ›Jungfrau‹ und ›Bergkönig‹ und manchen weiteren Arrangements. Doch nicht nur in diesen Werken zeigt sich seine Beschäftigung mit der Grundpolarität des Menschseins seit dem bibli­schen Sündenfall, die in mancher Hinsicht an Jakob Böhmes »männliche Jungfrau« erinnert. Beuys geht noch weitere Schritte in eine existenzielle Ausein­andersetzung: Im Rahmen von Aktionen, die bei ihm nie nur Rollenspiele sind, nimmt er als Mann auch Stellungen ein, wie sie für die gebärende Frau charakte­ristisch sind. Und er identifiziert sich im ernsten Spiel nicht nur mit mit einer weiblichen (Iphigenie) und einer männlichen (Anacharsis Cloots) Figur aus der Mythologie und Geschichte, sondern auch mit einem Tier, dem Hasen, der für ihn Wesensmerkmale beider Pole zeigt: »Also bin ich ein Hase. Ganz einfach. Ich bin gar kein Mensch.« Dabei sucht Beuys in den Polen immer auch das jeweils entgegengesetzte Element, so ein bewegtes Mittleren ausbildend: Der Künstler als Kunstwerk inmitten seines Kunstwerks.

Der Kulturwissenschaftlers Stephan Stockmar untersucht verschiedene Werkgruppen und Aktionen von Joseph Beuys im Kontext von dessen Leben und Selbstzeugnissen, wobei der sogenannte »Block Beuys« im Hessischen Landesmuseum Darmstadt eine zentrale Rolle spielt.

Reihe ›Philosophie interdisziplinär‹ Band 56, Roderer Verlag Regensburg, 310 Seiten, 34,80 EUR

Inhaltsverzeichnis und Einleitung hier.
Bezug hier.

Weiteres zu Joseph Beuys hier.

 

Zukunftsimpulse im künstlerischen Schaffen Rudolf Steiners.
Ihre Kulturwirksamkeit seit 100 Jahren

Aus: Anthroposophie, Ostern 2025 – Sonderausgabe zum 100. Todestag von Rudolf Steiner

In den beiden Goetheanum-Bauten mit allem, was zu ihnen gehört, hat Rudolf Steiners Kunstschaf­fen seinen wohl umfassendsten Ausdruck gefunden. Gleichzeitig ist es kaum fassbar, wie ein Mensch zwei so unterschiedliche, ja geradezu gegensätzliche Gestaltungen hervorbringen kann, oh­ne einen Bruch zu vollziehen. Beide Bauten – das durch Brand zerstörte erste Goetheanum und das von Steiner noch selbst entworfene, heute auf dem Dornacher Hügel stehende zweite Goetheanum – sind Zeugnisse eines Gestaltungswillens, der auf einem konsequenten Entwicklungsdenken beruht, wie es der von ihm zur Erscheinung gebrachten Anthroposophie immanent ist: Einer Entwicklung, die vollendete Blüten hervorbringt, um durch Nullpunkte hindurch immer neue Anfängen zu ermög­lichen, ganz im Geiste des Goetheschen Metamorphosegedankens. Jede Erscheinung ist Ausgangs­punkt für etwas Neues – in der Weltentwicklung und der geschichtlichen Entwicklung ebenso wie in der biografischen Entwicklung des einzelnen Menschen.

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Manuskript mit ausführlichen Fußnoten hier.

 

Goethe und Steiner – ein Universalistenpaar

Aus: Info3, März 2025

Wer sich mit Rudolf Steiner und seiner Anthroposophie beschäftigt, stößt immer wieder auf Goethe. Ihm sind nicht nur seine frühen Schriften gewidmet, sondern er ist durch viele Vorträge und Aufsätze bis zum Ende seines Lebens in Steiners Wirken präsent. Als Goethe-Forscher hatte Steiner auch in der allgemeinen Kultur einen Namen. Die von Anthroposophie inspirierte Naturwissenschaft wird heute noch als Goetheanismus bezeichnet. Und von Goethe hat nicht zuletzt der Zentralbau der anthroposophischen Bewegung, das Goetheanum, seinen Namen.

Wie kam es dazu? Was wäre Rudolf Steiner ohne Goethe? Und ließe sich die Frage vielleicht auch umdrehen: Was wäre Goethe (uns) ohne Rudolf Steiner?

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Veranstaltungen

Bücherhinweis

Beuys sammeln

Christoph Otterbeck & Ludwig Rinn: ›Kompass Beuys. Werke aus der Sammlung Ludwig Rinn‹, Schirmer/Mosel Verlag, München 2023, 288 Seiten, 78 EUR

Endlich ist dieser zunächst als Katalog zu einer Ausstellung der Beuys-Sammlung von Ludwig Rinn im Kunstmuseum Marburg 2021/22 konzipierte Band erschienen. Er enthält neben einem langen Gespräch mit dem Sammler über Joseph Beuys und einem Gespräch, das Rinn 1978 mit Joseph Beuys anhand von Werken aus seiner Sammlung geführt hat, auch einige Werkbetrachtungen sowie Hommagen auf den Sammler und langjährigen Wegbegleiter von Beuys. Im Zentrum stehen aber die 137 gut reproduzierten Beuys-Werke – vor allem Zeichnungen aus allen Schaffensperioden (von 1940-1985), einige kleinere Objekte, Multiples und die Rauminstallation ›ö ö‹ (1972/81).

Als ein besonderer Mikrokosmos lässt die Sammlung Rinn auf geradezu poetische Weise Beuys’ revolutionäre Verwandlung des klassischen Kunstbegriffs hin zur jeden Menschen mit seinen individuellen schöpferischen Fähigkeiten einbeziehenden Sozialen Plastik nachvollziehen. Der nun vor- liegende Band mit seinen hervorragenden Abbildungen, den Gesprächen und ergänzenden Beiträgen bietet in diesem Sinne ein Okular auf das gesamte Schaffen von Joseph Beuys.

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Vom Zukunftsweisenden in Goethes Kunstauffassung

Christa Lichtenstern: ›Ich bin ein Plastiker‹. Goethes ungeschriebene Skulptur.sthetik‹, Deutscher Kunstverlag, Berlin & München 2022, 215 Seiten mit vielen, meist farbigen Abbildungen, 38 EUR.

Ich bin ein Plastiker., rief der 77-jährige Goethe in einem Gespräch mit seinem Freund Sulpiz Boisserée im Zorn über einen Kritiker aus, demonstrativ auf seinen geliebten Abguss einer monumentalen antiken Juno-Büste zeigend. Diese für einen Dichter erstaunliche Selbstaussage nimmt Christa Lichtenstern zum Anlass, Goethes ungeschriebene Skulpturästhetik nicht nur zu rekonstruieren, sondern ihr zukunftsgerichtetes Potenzial herauszuarbeiten.

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Menschwerden mit dem Tier

Marica Bodrožić: Mystische Fauna. Von der Liebe der Tiere, Matthes & Seitz, Berlin 2023, 166 Seiten, 20 EUR

Um Tod und Leben, um neu zu erringende Freiheiten geht es in ›Mystische Fauna‹, und dabei spielt das Zusammenwirken mit Tieren eine Rolle. Das ist in Bodrožić’ Werk nicht ganz neu. So tragen die Seelenstenogramme ihrer Wanderung über die Pyrenäen auf den Spuren Walter Benjamins den Titel ›Die Arbeit der Vögel‹ (2022). Vögel begleiten im Roman ›Das Wasser unserer Träume‹ (2016) das langsame Erwachen des Protagonisten aus dem Koma in ein neues Leben hinein. In ihrem neuen Buch steht nun das unverhoffte Zusammenleben mit einem Hund auf der Insel La Gomera im Mittelpunkt. Dabei hütet die Autorin nicht nur den von ihr so getauften ›Inselito‹, sondern er begleitet sie auch beim Aufkeimen freud- wie leidvoller Erinnerungen aus Kindheit und Jugend. Er zeigte ihr einen »Weg in die Gegenwart, ins Jetzt der Zeit«. Mit ihm durchlebt sie noch einmal, wie ihr Großvater auf dem bäuerlichen Anwesen in Dalmatien im Jähzorn dem eigenen Hund ein Auge ausschlägt. »Da stehe doch ich an der Schwelle, sage ich mir, ich bin dort nicht unbekannt, es ist das Haus der Kindheit, da kenne ich mich und werde erkannt. Der Hund der Kindheit. Der liebste Mensch der Kindheit. Das Blut der Kindheit. Es ist Augenblut.«

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Das Jahr 1977 und die Gegenwart

Philipp Sarasin: 1977. Eine kurze Geschichte der Gegenwart, Suhrkamp Verlag, Berlin 2021, 502 Seiten, 32 EUR

1977? War da was besonderes? Vielleicht irgend etwas mit der RAF? – Viel mehr ist mir auf Anhieb gar nicht eingefallen. Ja doch, natürlich: die Charta 77 (wie schon der Name sagt). Und weiter ? – Es ist schon erstaunlich, was Philipp Sarasin alles in dieses Jahr verorten kann. Beim Lesen erinnerte ich mich dann bei einigem wieder: Ja genau, stimmt! Doch vieles war mir gar nicht (mehr) bewusst.

»Nur dass die allgemeine ›Stimmung‹ gedrückt war, passte ganz gut zu meiner jugendlichen Orientierungslosigkeit« (S. 7). So beschreibt der Autor seinen eigenen Bewusstseinszustand als Einundzwanzigjähriger im Jahr 1977. Dies trifft vermutlich für viele Menschen seiner und damit auch meiner Generation zu. Wohlbehütet aufgewachsen im Zeitalter des deutschen Wirtschaftswunders, drang die eigentliche Dramatik dieses Jahres damals nur sehr fragmentarisch in mein Bewusstsein. Erst jetzt, wo ich Sarasins Buch lese, wird mir deutlich, wie entscheidend dieses Jahr und das 1970er-Jahrzehnt für die gegenwärtige Weltsituation ist. Insofern lautet der Untertitel zurecht ›Eine kurze Geschichte der Gegenwart‹.

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