Zitat des Monats Dezember 2017

»Es ist mir wichtig zu zeigen, dass jedes Individuum, auch wenn es über gefährliche Macht verfügt und gewalttätig, kaltherzig und hasserfüllt ist, ein Wesen ist, in dessen Innerstem wir etwas bewundern können. … Es liegt in der direkten Verantwortung des Menschen dem Menschen gegenüber … Erst in höchster Angst und Bedrängnis muss sie sich bewähren, dann, wenn das Menschsein gefährdet und gefährlich ist. … Meine Leser sollten nie vergessen, dass ich über Zeiten schreibe, in denen es für den Einzelnen gefährlich ist, menschlich zu bleiben. Darum wollte ich in meinen Werken auch seine Verletzbarkeit inmitten von Krieg und Katastrophen respektieren. Ich habe versucht zu zeigen, dass inmitten all der Gewalttätigkeit ein Kern bleibt, der bewundernswert ist. … Meine Werke … sind ein Versuch, zu jenem Kern vorzudringen, der in uns steckte, bevor Politik und Religion ihn verschüttet oder entstellt haben. Ich sehe das als einen Weg der Rettung.«

Bachtyar Ali in seiner Dankesrede zur Verleihung des Nelly Sachs Preises der Stadt Dortmund am 10. Dezember 2017.

In Bachtyar Alis kürzlich auf Deutsch erschienenem Roman »Die Stadt der Weißen Musiker« unterhalten sich ein im Exil lebender kurdischer Autor und ein im Irak als »Quaqnas« (Phönix) lebender kurdischer Musiker, der im Zuge der grausamen Kriege und Auseinandersetzungen dort mehrfach an der Schwelle des Todes gestanden hat, über die Heimatlosigkeit:

»… Als ich ihn an jenem Abend im Hotel traf, merkte ich, dass er Heimatlosigkeit als eine Art Glück erlebte, als ein Spiel mit den Dingen. Heimatlosigkeit stiftet Frieden zwischen dem Menschen und seinem Leben, zwischen Gefühl und Realität. ›Allein die Heimatlosen begreifen das Leben‹, sagte er einmal.
Das leuchtete mir ein, aber als er sagte, nur die Heimatlosen seien mit der Welt im Einklang, stutzte ich. ›Das verstehe ich nicht. Wie sollen die Heimatlosen in Einklang mit der Welt sein? Heimatlosigkeit besteht aus Zwietracht.‹
›Haben Sie je die Ketten eines Menschenwesens gesprengt? Ali Sharafiar, ich habe viele Ketten gesprengt, sogar meine eigenen. 
Heimatlosigkeit heißt, dass der Mensch die eigenen Ketten zersprengt und fortgeht.‹«

Aus: Bachtyar Ali: Die Stadt der weißen Musiker. Roman. Aus dem Kurdischen (Sorani) von Peschawa Fatah und Hans-Ulrich Müller-Schwefe, Zürich 2017 (Unionsverlag), S. 226f

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Siehe auch »Der Letzte Granatapfel« von Bachtyar Ali.